Algier - Die Treue der Liebe
Vor 20 Jahren wurden Bischof Claverie und die “Mönche von Tibhirine” in Algerien ermordert. Wir haben mit Giorgio Antoniazzi gesprochen, einem Fokolar, der viele Jahre in Tlemcen gelebt hat.
Giorgio Antoniazzi: Vor einigen Tagen ist mir ein Brief von P. Christian de Chergé in die Hände gefallen, der vor 20 Jahren ermordet wurde. Christian war Prior der Trappistengemeinschaft des Klosters „Unsere Liebe Frau vom Atlas“ in Tibhirine (90 Kilometer von Algier entfernt). 1996 wurden er und andere 6 Mönche entführt und getötet. Am 1. August wurde der Bischof von Orano ermordet, Pierre Claverie.
Wir steckten mitten im “schwarzen Jahrzehnt”, wie der Bürgerkrieg genannt wurde, der in den 90er Jahren in Algerien ausgebrochen ist. Die Mönche waren alle Franzosen, und wurden wie alle Ausländer direkt aufs Korn genommen von den sogenannten „Brüdern der Berge“ – so nannte man diejenigen, die sich der Macchia angeschlossen und zu den Waffen gegriffen hatten, nachdem das Wahlergebnis von 1992 annulliert worden war. Die „Islamische Heilsfront“ schien diese Wahlen zu gewinnen. Sie wurde aufgelöst und als gesetzlos betrachtet.
Wenn ich an die “Mönche von Tibhirine” denke, kommt mir sofort ihr Lächeln in den Sinn, wenn wir uns getroffen haben. Wir Christen waren alle gemeinsam daran beteiligt, die besondere Berufung der Kirche in diesem Land zu leben, das Evangelium zu bezeugen im Dienst an diesem Volk. Eine schlichte Kirche, arm wie die Menschen hier, aber ihr Zeugnis war und ist ein großes Licht in den Herzen ihrer Freunde, die meistens zu den Muslimen gehören. 99% der Bevölkerung von Algerien gehört dem Islam an. Die Kirche ist „Kirche für ein Volk, Kirche der Begegnung“, so hat es der Erzbischof von Algier, Paul Desfarges formuliert.
Ich komme zurück zu dem Brief vom 3. Dezember 1994. Während ich ihn lese habe ich den Eindruck, Christian oder einen der anderen Mönche in unserem Fokolar in Tlemcen zu begrüßen. Sie haben hier oft geschlafen, um am nächsten Tag nach Fèz in Marocco aufzubrechen, wo sie ein neues Kloster gründeten. Es waren immer intensive, wunderschöne Abende mit ihnen. Uns verband das Leben für dieses Volk, bei dem wir zu Gast waren. Wir folgten unterschiedlichen Berufungen, doch unser Herz schlug für die gleiche Sache.
Wir machten uns gegenseitig Mut, um weiterzugehen trotz des feindlichen Klimas. Als es Stimmen gab, die von einem vorübergehenden Abzug der Fokolare aus Tlemcen sprachen, was aber nicht der Fall war, schrieb uns Christian: „Wir alle dachten, dass ihr so lange es geht unter uns bleibt als Zeugen für ein mögliches Zusammenleben, für grenzenloses Teilen des eigenen Lebens, für geschwisterliches Offensein, in dem das Herz im Einklang schlagen kann, jenseits der religiösen Barrieren. Ihr habt euch die Botschaft des Evangeliums zu Eigen gemacht und sie tief in unsere Herzen eingemeißelt. Wir freuen uns mit euch über jedes Stück mehr Menschsein, das euer Charisma der Kirche geschenkt hat. Es war schön, uns in eurem Fokolar wiederzufinden. Viele Mönche haben eure Gastfreundschaft erlebt auf dem Weg nach Fèz. In allen ist der Wunsch nach weiteren Begegnungen geblieben, sie konnten nie genug davon bekommen. (…) In dieser Zeit haben wir es alle nötig, mit diesem Feuer rechnen zu können. Es wird etwas kälter an Weihnachten sein, wenn ihr wirklich nicht mehr da sein solltet. (…) Unser Leben steht in Gottes Hand…die Gründe für unser Bleiben sind identisch mit den Gründen, die es uns ermöglichten, hier zu leben. Die Situation ändert weder etwas für uns noch für euch. Noch einmal DANKE jedem Einzelnen, Unsere brüderliche Gemeinschaft gehört euch heute und immer. Christian.“
Man sprach vom Mut zu bleiben… aber für diejenigen, die wie wir mitten drin stehen in dieser harten Erfahrung, würde ich stattdessen vom Mut zur Treue zu einer Berufung sprechen, die wir mit einem Stück der Menschheit teilen, zu der wir inzwischen gehören. Die Treue der Liebe. In den Herzen derer, die Bischof Claverie kennengelernt hatten und die Ordensfrauen und Ordensmänner, die in jenen Jahren in Algerien umgebracht wurden, bezeugen sie weiterhin das gelebte Evangelium und die tiefe Freundschaft mit einem Volk, das zu ihrem Volk geworden ist.
Giorgio Antoniazzi
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