Gottsucher zwischen Mystik und Missbrauch

Abschluss des Online-Kongresses über die Frage der schwindenden Gottesgewissheit

Am Ende waren es etwa 350 Personen, die sich zum Kongress „Was und wie, wenn ohne Gott“ online zugeschaltet haben. Es war ein kritisches Reflektieren und bisweilen auch eine bange Vergewisserung dessen, was heute noch Grund gibt, am Glauben an Gott festzuhalten in einer Zeit, in der seine Bedeutung in der Welt zu schwinden scheint. Gleichzeitig ließen sich Referierende und Teilnehmende auf eine gemeinsame Suche danach ein, welche Impulse von Mystikerinnen und geistlich inspirierten Menschen der Gegenwart wie der vergangenen Jahrhunderte Gottsuchende und Gottglaubende in ihrer Verankerung im Glauben stärken könnten.

Interaktive Technik, abwechslungsreiche Vortrags- und Gesprächsformate und musikalisch-poetische Unterbrechungen in Formen von Kunstfilmen machten den Online-Kongress, der eigentlich am 26./27. Februar in Dresden geplant war, zu einer dialogisch angelegten und inspirierenden Veranstaltung.

Dr. Uta Karstein, Soziologin, Kulturwissenschaftlerin und Psychologin aus Leipzig skizzierte zu Beginn anschaulich anhand von Beispielen aus ihrer empirischen Forschung einerseits die deutliche Abkehr von Religion und Kirche. Karstein sprach von „forcierter Säkularität“ speziell im Osten der Republik, der durch eine lange Tradition der Zurückdrängung von Religion gekennzeichnet sei. „Der Osten Deutschlands ist eine der religionslosesten Regionen der Welt“, stellte sie fest. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass das Bild sich mit den nachfolgenden Generationen verändere – weg von einer abweisenden Haltung hin zu einem Interesse an guten Erzählungen, an ästhetischen Erfahrungen und der Neugier auf Spekulationen zum Sinn des Lebens.

Prof. Dr. Birte Platow lehrt Religionspädagogik an der TU Dresden und gab einen Einblick in das Spannungsfeld, das sich auftut zwischen den Möglichkeiten, die Wissenschaft und Technik speziell im Bereich künstlicher Intelligenz inzwischen eröffnen und dem, was den unersetzlichen Mehrwert ausmacht, wenn es um die Vermittlung der Kernbotschaft des Glaubens und um Seelsorge geht. „Die reine Abgrenzung hilft bei der eigenen Suchbewegung in Richtung Sinn und Spiritualität nicht weiter“, stellte sie fest. „Offensichtlich haben es die Kirchen nicht geschafft, die religiösen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Diese Bedürfnisse suchen sich dann eine neue Heimat.“ Die Auseinandersetzung mit einem allwissenden, alles bestimmenden Wesen könne im besten Fall auch zu einer kritisch-konstruktiven Selbstentfremdung führen und einer naiven Technikgläubigkeit vorbeugen.

Prof. Dr. Holger Zarborowski ist Professor für Philosophie an der Universität Erfurt und stellte 10 Thesen vor zur Gottesidee und ihrem Gewaltpotential. „Die Frage nach dem Bösen lässt uns an Gott zweifeln, könnte uns nicht umgekehrt die Frage nach dem Guten den Glauben, das Fragen nach Gott nahelegen?“ Er sprach vom Phänomen des religiösen Atheismus – die Religion erfahre im postsäkularen Zeitalter wegen ihrer kulturellen oder sozialen Leistungen hohe Wertschätzung, ohne dass Gott als Werteinstanz eine Bedeutung bekomme. „Der Glaube an Gott hat seine Selbstverständlichkeit eingebüßt.“ 

Dann formuliert er drei Ausdrucksformen dieser Abwesenheit Gottes: das Fehlen, der Tod und die Abwehr Gottes. Angesichts von Katastrophen und der menschlich verursachten Not stelle sich Frage, ob Gott nicht ohnmächtig sei, er werde als fehlend wahrgenommen. Oder aber er sei durch Wissenschaft oder politische Ideologien als nicht notwendig und damit inexistent deklariert worden. Wenn Gott als übermächtig erfahren werde, der die Freiheit und die Würde des Menschen einschränkt, der Gewalt rechtfertige, dann komme es zur Abwehrreaktion. Mit Blick auf diese Erfahrung des Entzugs Gottes fragte Zarborowski: „Die Frage nach dem Bösen lässt an Gott zweifeln. Könnte nicht umgekehrt die Frage nach dem Guten die Frage nach Gott nahelegen?“

Der zweite Tag stand unter der Kernfrage: „Gott verschwindet, und will das auch?“ und wurde durch Prof. Dr. Stefan Tobler Bild entfernt.eröffnet, der an der Universität von Hermannstadt in Rumänien lehrt. Er stellte drei Frauen vor als „den Widerhall dieser Abwesenheit Gottes“, die den Rückzug Gottes in ihrem geistlichen Leben schmerzhaft durchlebt haben: Madeleine Delbrêl, Mutter Teresa und Chiara Lubich. Tobler beschrieb, wie diese Frauen selbst durchlebt haben, was sie mit anderen Gottsuchenden zutiefst verbindet: die Dunkelheit der Gottferne. Von  Mutter Teresa sagte er: „Sie gab weiter, was sie selbst schon längst nicht mehr spürte. Nicht aus der Fülle sondern aus der Leere teilte sie aus.“ Die Erkenntnis aus den mystischen Zeugnissen der drei Frauen beschrieb er so: „Gott lässt sich inmitten der Menschheit gerade dort finden, wo er am weitesten entfernt scheint. Es geht nicht darum, ihn irgendwohin zu bringen, sondern ihn zu entdecken mitten in der Welt.“

Prof. Dr. Julia Knop legte mit ihrem Vortrag über die Kirche als Hindernis des Gottesglaubens den Finger in eine schmerzhafte Wunde und ging der Frage nach, ob die Verfehlungen und verschiedenen Formen von Missbrauch nicht inzwischen massives Hindernis zum Glauben sind. „Das kirchliche Grundvertrauen, gerade unter den kirchlich hoch Engagierten ist erschüttert“, zog sie Bilanz. Sie wolle „dem Entsetzen eine Stimme geben“ und sehe leider bisher wenige institutionelle und so gut wie keine persönlichen Konsequenzen aus der Debatte über den Missbrauch von Macht und die sexualisierte Gewalt durch Kleriker und deren Vertuschung. Sie legte dar, dass die Frage der Kirchenkrise mit der Frage der Glaubenskrise eng verknüpft sei. Im anschließenden Gespräch mit den Teilnehmenden machte sie Mut: „Es wächst eine neue geistliche Souveränität. Dieses Gespür sollten wir wertschätzen!“ 

Bild entfernt.Der tschechische Religionsphilosoph Tomáš Halík beschloss dann die Serie von inhaltlichen Impulsen des Kongresses und ging der Frage nach: Kann man heute noch zeitgemäß an Gott glauben? „Die Verborgenheit Gottes ist sein erstes Wort an uns, das zweite Wort ist die göttliche Nähe“ beschrieb er die Spannung, in der sich viele Gottsuchende wiederfänden. Nach dem Untergang des Kommunismus sei man nicht einfach zurückgekehrt zur Religiosität von früher. Stattdessen erlebe er einen bunten Markt, eine Mischung aus religiösem Kitsch und Elementen aus der Esoterik aber auch neues ehrliches Suchen und Fragen. Halík sah darin eine Ausdrucksform vom sogenannten Anatheismus, ein Konzept, das ihn sehr fasziniere. „Ein Glaube, der durch das Sperrfeuer der Religionskritik hindurchgegangen ist und diese Fegefeuer ernst genommen hat - die Entschlossenheit, wieder aufs Neue zu glauben, trotz allem“. Die Säkularisierung sei kein unumkehrbarer Prozess: „Die Nächstenliebe zeigt uns, wie wir diese Nähe Gottes erleben können.“ Es brauche die existentielle Zustimmung, dass Gott ist und „dann zählt die Bereitschaft, Liebe zu lernen“.

In einer Abschlussreflexion zog dann Pater Bernd Hagenkord, der in der Geistlichen Begleitung des Synodalen Wegs engagiert ist, für diesen großen kirchlichen Synodalprozess Bilanz. „Wir müssen mehr miteinander reden, aufeinander hören, gemeinsam schweigen, gemeinsam beten und gemeinsam feiern. Und vielleicht kommen wir dann dahin, dass wir uns wieder sehnen nach dem Gott, der uns fremd geworden ist“.

Fokolar-Bewegung und Katholische Akademie Dresden-Meißen


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