Wort des Lebens April 2017
„Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend.“ (Lukas 24,29)
Mit diesen Worten laden die Weggefährten den Unbekannten ein, den sie auf der Straße von Jerusalem nach Emmaus getroffen haben. Sie hatten gerade darüber gesprochen, was in den letzten Tagen in der Stadt geschehen war.
Er scheint als einziger nichts darüber zu wissen, und so erzählen ihm die beiden Anderen, nachdem sie nun miteinander unterwegs waren, von einem „Propheten, mächtig in Wort und Tat vor Gott und dem ganzen Volk”, in den sie ihr Vertrauen gesetzt hatten. Er war von den Hohenpriestern und den Führern des Volkes den Römern ausgeliefert, zum Tode verurteilt und gekreuzigt worden (vgl. Lukas 24,19ff). Eine entsetzliche Tragödie, deren Sinn sie nicht verstehen konnten.
Der Fremde erklärt alles von der Schrift ausgehend und hilft so den beiden, die Bedeutung der Ereignisse zu begreifen. In ihren Herzen keimt neue Hoffnung. In Emmaus angekommen, laden sie ihn zum Abendessen ein: „Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend“.
Während sie so miteinander am Tisch sitzen, segnet der Fremde das Brot und teilt es mit ihnen. An dieser Geste erkennen sie ihn als den Gekreuzigten, gestorben und auferstanden! Sofort reagieren sie: Sie kehren nach Jerusalem zurück, um die anderen Jünger aufzusuchen und ihnen die große Nachricht zu bringen.
„Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend.“ (Lukas 24,29)
Auch wir können enttäuscht, empört, entmutigt sein, uns ohnmächtig sehen angesichts von Ungerechtigkeiten, die unschuldige und wehrlose Menschen treffen. Auch in unserem Leben gibt es Schmerzen, Unsicherheit, Dunkel… Wie gerne würden wir sie in Frieden, Hoffnung und Licht für uns und andere verwandeln.
Wollen wir jemandem begegnen, der uns bis ins Tiefste versteht und uns den Lebensweg erleuchtet?
Jesus, Gott und Mensch, will jeden von uns in seinem ganzen Sein erreichen. Er hat sich frei dafür entschieden, wie wir den Abgrund des Schmerzes zu erleben, den körperlichen Schmerz, aber auch den Schmerz, von den Freunden verraten zu werden, bis zum Empfinden, von jenem Gott verlassen worden zu sein (vgl. Mt 27,46; Mk 15,34), den er immer Vater genannt hatte. Durch sein unerschütterliches Vertrauen auf die Liebe Gottes hat er diesen ungeheuren Schmerz überwunden und sich ihm anvertraut (vgl. Lk 23,46) und von ihm neues Leben empfangen.
„Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend.“ (Lukas 24,29)
Auf diesen Weg führt er auch uns Menschen und möchte uns begleiten:
„Wir können deshalb Jesus in allen Bedrängnissen und Engpässen unseres Lebens erkennen, in jedem Dunkel, jeder eigenen oder fremden Tragödie, im Leiden der Menschheit um uns herum. (…) Es genügt, etwas Konkretes zu tun, um »sein« Leid in den Armen und Unglücklichen zu lindern. (…) Es erwartet uns eine nie gekannte Freude und eine neue Fülle des Lebens.“1)
So erzählt eine Siebenjährige: „Ich habe sehr gelitten, als mein Papa ins Gefängnis musste. Ich habe Jesus in ihm geliebt. Deshalb habe ich es geschafft, nicht vor ihm zu weinen, als wir ihn besucht haben.“
Und eine junge Frau: „Ich habe Roberto, meinen Mann, in seinen letzten Lebensmonaten begleitet. Er hatte eine unheilbare Krankheit. Ich habe ihn nicht einen Augenblick alleine gelassen. Ich habe ihn angeschaut und habe Jesus gesehen… Roberto war am Kreuz, wirklich wie gekreuzigt.“ Ihre Liebe zueinander ist zum Licht für ihre Freunde geworden. Das löste eine Welle der Solidarität aus, die bis heute nicht aufhört. So entstand die Vereinigung „Abbraccio Planetario“ (Weltweite Umarmung). „Die Erfahrung mit Roberto hat uns auf den Weg zu Gott geführt. Wir fragen oft nach dem Sinn von Leid, Krankheiten, dem Tod. Ich glaube, dass alle, die es geschenkt bekommen haben, eine Wegstrecke mit Roberto zurückzulegen, die Antwort auf diese Fragen kennen“, sagt ein Freund Robertos.
„Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend.“ (Lukas 24,29)
In diesem Monat feiern alle Christen das Geheimnis von Tod und Auferstehung Jesu. Wir können unseren Glauben an die Liebe Gottes neu entzünden, durch die wir den Schmerz in Liebe umwandeln können. Jede Trennung, jedes Versagen, auch der Tod können so Quelle von Licht und Frieden für uns werden. In der Gewissheit, dass Gott jedem von uns in jedem Moment nahe ist, sagen auch wir vertrauensvoll wie die Jünger von Emmaus: „Bleib doch bei uns, denn es wird bald Abend“.
Letizia Magri
1) vgl. Chiara Lubich, Wort des Lebens, April 1999