Wach für alles Leben

Welche Rolle spielen Tiere in meinem Leben? Ein persönlicher Antwortversuch berührt viele Aspekte, auch unbequeme, und hält eine herausfordernde Einladung bereit.

Ich komme von einem Hof. Es gab Pferde, Kühe, Rinder, Schweine, Hühner, einen Hund und viele Katzen. Was für viele idyllisch klingt, war es für mich nicht. Auch wenn jede Kuh einen Namen hatte, genauso wie der Hund und die Katzen. Bis alle gut versorgt waren, bedeutete das viel Einsatz und Arbeit. Ich glaube nicht, dass ich in irgendeiner Weise traumatisiert bin. Trotzdem kann ich heute ganz gut ohne Tiere leben. Ganz anders meine Schwester; ohne ihren Hund und die Katzen wäre sie nur ein halber Mensch.
Welche Rolle spielen Tiere im Leben von Menschen, und wie ist unser Blick auf sie? Je mehr ich mir diese Fragen stellte, umso mehr spürte ich, wie unbequem sie mir wurden. Sah ich sie zu einseitig als Nutz-Objekte, zu distanziert? War mein Urteil über die eine oder andere Ausdrucksform der Zuneigung zu hart? Und hatte ich mir vielleicht meine Sensibilität in Sachen Tierhaltung und Tierschutz nur eingeredet?
Was ist der richtige Blick darauf? Als Christin fragte ich mich, welche Rolle mein Bild der Schöpfung dabei spielte. Interessanterweise fiel mir dann die eine oder andere Geschichte von Heiligen ein: Den Einsiedler Ägidius versorgt demnach eine Hirschkuh mit Milch, Franz von Assisi zähmt den Wolf und predigt den Vögeln, Antonius den Fischen. Solche Erzählungen vermitteln eine tiefe Verbundenheit aller Geschöpfe. Sie sprechen von einem tiefen Einklang mit allem Sein. Da schwingt etwas mit von der paradiesischen Harmonie des Anfangs. Zugleich klingt eine tiefe Verbundenheit alles Lebendigen mit, die im Buch des Propheten Jesaja als ferner Ausblick so beschrieben wird: „Dann findet der Wolf Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein. Kalb und Löwe weiden zusammen, Kuh und Bärin freunden sich an.“
Wenn ich unter diesen Vorzeichen auf das Leben mit Tieren schaue, geht es um Beziehung in einem umfassenden Sinn. Ist die Frage nach der Würde des Tiers dann nicht auch die Frage nach der Würde des Menschen? Alles ist mit allem verbunden. Sagt mein Umgang, mein Blick auf Tiere dann nicht auch etwas über mich?
Im berühmten Sonnengesang von Franz von Assisi beschreibt er die Vision einer radikalen Geschwisterlichkeit. Franziskus gilt als Tierliebhaber. Seine Liebe zu den Tieren hat jedoch weniger den Charakter von sentimentaler Kuscheltiermentalität, sondern entspringt seiner Gottesbeziehung. Für ihn schimmert in allem Geschaffenen und somit auch in den Tieren das Göttliche immer durch. Franziskus nimmt die Tiere als eigenständige Wesen wahr. Wie alles Geschaffene verweisen sie auf Gott als Schöpfer. Als „Schwestern“ und „Brüder“ sind sie Teil der „göttlichen Familie“.
Tierschutz, wie wir ihn heute kennen, war Franziskus sicher fremd. Und auch mit Blick auf die ökologische Schieflage können und wollen der Sonnengesang oder andere Schriften von Franziskus keine Patentrezepte geben. Seine Botschaft scheint mir grundlegender und persönlich herausfordernd: Finde zurück zu einer neuen Wachheit für alles Leben, lerne neu staunen über das Schöne und Kostbare in der Schöpfung, lass dein Herz berühren – auch von den Tieren.

Gekürzter Beitrag von Gabi Ballweg aus der Zeitschrift NEUE STADT, die sich in der Juli/August-Ausgabe mit dem Thema „Mit Tieren leben“ beschäftigt. Möchten Sie auch die weiteren Beiträge lesen? Dann können Sie HIER ein Probe-Heft anfordern oder das Magazin NEUE STADT abonnieren. 


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