(Über-)Leben im Krieg

Valquiria Oliveira, Psycho- und Logotherapeutin, kommt aus Brasilien und lebt in Wien in einer Fokolar-Gemeinschaft. Als Therapeutin hat sie nach dem Ausbruch des Kriegs Menschen in der Ukraine per Telefon und Internet begleitet. Aber dann wollte sie die Leute auch persönlich treffen und war mehrere Male dort. Valquiria berichtet vom Leben und Überleben im Krieg. 

Seit Beginn des Krieges habe ich Menschen in der Ukraine per Internet begleitet. Das war möglich, weil die österreichische Regierung bis Juli 2022 Telefongespräche in das Kriegsgebiet finanziert hat. So konnte ich einige Menschen, die Italienisch sprechen konnten, vor allem nachts begleiten, wenn sie in die Bunker mussten, und erlebte mit ihnen gemeinsam die Ungewissheit, die Angst. 

Immer wieder erreichten uns auch in den Tagen meines Aufenthaltes Nachrichten von der Front. Eine Krankenschwester bat uns um Schüsseln, weil die Soldaten kein Essgeschirr hatten, um ihre Suppe zu löffeln. Sie erzählte mir auch, dass die Ärzte an der Front die ständigen Amputationen leid sind. Tatsächlich sah ich immer wieder junge Männer, die auf Krücken gingen. Wenn ich in ihre Gesichter schaute, sah ich, dass es um mehr als um rein körperliche Angriffe und Verletzungen ging.

Eine Mitarbeiterin der Caritas sagte mir: „Eine meiner Aufgaben ist es, dafür zu sorgen, dass die humanitäre Hilfe dort ankommt, wo die Menschen nichts mehr haben. Das erfordert großen Mut von denjenigen, die den Transport übernehmen. Ich habe gelernt, nicht zu zögern. Wenn ich nicht sofort handle, kann es zu spät sein. Wir sprechen nicht viel über den Krieg. Und doch denke ich ständig darüber nach, wie wir als Weltgemeinschaft es so weit kommen lassen konnten. Dass ein Leben nichts zählt, dass Menschen in einem System aufwachsen, das sie zu solchen Grausamkeiten fähig macht. Es hat mich traurig gemacht, dass die russische Armee beim Rückzug von Kiew ihre Soldaten oft einfach tot zurückließ. Es ist bewegend zu sehen, wie die Menschen versuchen, Trost in Gott zu finden und um das Wunder des gerechten Friedens zu beten.“ 

Ich kann mich identifizieren mit dem, was mir jemand aus der Gemeinschaft dort gesagt hat. Sie war in einem Interview gefragt worden, ob der Krieg ihre Beziehung zu Gott verändert habe und ob ihr Glaube nicht durch all das Leid ins Wanken geraten sei. Ihre Antwort: 

Jemand erzählte mir: “Heute begehen wir den 1.000. Tag des russischen Einmarsches: 1.000 Tagesanbrüche ohne Ruhe. 1.000 Nächte, die vom Klang der Sirenen und Explosionen unterbrochen werden. 1.000 Momente der Angst, aber auch der neu gewonnenen Hoffnung. Jeder Tag bringt Trauer um diejenigen, die nicht mehr unter uns sind, und Stolz auf jene, die weiterkämpfen. Eure Nähe war für mich in den dunkelsten Momenten ein Licht, eine Unterstützung, die ich nie vergessen werde. Danke, dass ihr eine Quelle der Stärke und des Glaubens in meinem Leben seid. Ich werde euch immer in meinen Gedanken und Gebeten behalten. Mit Zuneigung und Dankbarkeit!”

„Zeigen Sie der Welt, was wirklich wertvoll ist.“ - “Der Mensch will nicht leiden oder sinnlos sterben.” - Das sind einige der Botschaften, die ich erhalten habe.
 

Um Frieden zu schaffen und zu erhalten, müssen Kulturen, Traditionen, Ethnien, Sprachen und Religionen respektiert werden. Wir lernen mühsam die Fähigkeit zum ZUHÖREN, zum DIALOG und zur Versöhnung, aber ich glaube, dass es nur durch diese Gegenseitigkeit möglich ist, Bedürfnisse zu äußern, Grenzen anzuerkennen und einen Sinn in der Realität der Gegenwart zu finden, jenseits der „zerstörten Träume“, die auch durch das Trauma des Krieges entstanden sind.
 

Das Interview führte Christoph Schmitz.  

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