Wenn ihr euch vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz. (Galater 5,18)
Der Apostel Paulus schreibt seinen Brief an die Christen in Galatien (in der heutigen Türkei), denen er selbst das Evangelium gebracht hat und die ihm sehr am Herzen liegen. Einige in dieser Gemeinde bestanden darauf, dass das Gesetz des Mose auch für die Christen gelten müsse. Nur wenn sie alle Vorschriften einhielten, könnten sie Gott gefallen und gerettet werden.
Für Paulus hingegen stehen wir nicht mehr „unter dem Gesetz“, weil Jesus selbst, Sohn Gottes und Erlöser der Menschheit, durch Tod und Auferstehung für alle der Weg zum Vater geworden ist. Der Glaube an ihn öffnet unser Herz für das Wirken von Gottes Geist, der uns führt und der uns auf den Wegen des Lebens begleitet.
Für Paulus geht es also nicht mehr darum, das Gesetz zu halten, sondern vielmehr darum, es in seiner eigentlichen Bedeutung neu zu entdecken und uns dabei vom Geist leiten zu lassen. Er hatte schon vorher darauf hingewiesen: „Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort erfüllt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ 1)
In der christlichen Liebe zu Gott und zum Nächsten finden wir die Freiheit und Verantwortung der Kinder Gottes: Wir sind gerufen, wie Jesus alle zu lieben, als Erste zu lieben, den anderen wie uns selbst zu lieben, sogar dann, wenn wir ihn als unseren Feind erleben.
„Wenn ihr euch vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.“
Die Liebe, die von Gott kommt, drängt uns, in allen Bereichen unseres Lebens, in der Familie, bei der Arbeit, verantwortlich zu handeln. Wir sind gerufen, friedliche und gerechte Beziehungen aufzubauen.
Das Gesetz der Liebe gibt unserem Zusammenleben ein stabiles Fundament, wie auch Maria A. erzählt: „Ich unterrichte an einer Schule in einem Vorort von Paris, einem Problemviertel. Die Schüler kommen aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen, oft mit Migrationshintergrund. Ich mache fachübergreifende Projekte, um Teamarbeit einzuüben, die Geschwisterlichkeit unter den Kollegen zu leben und den Schülern ein Beispiel zu geben. Dabei habe ich gelernt, keine schnellen Veränderungen im Verhalten eines Schülers zu erwarten. Es ist wichtig, weiter an ihn zu glauben und ihn zu begleiten, zu schätzen und zu belohnen. Manchmal scheint sich nichts zu ändern, andere Male bekomme ich konkrete Zeichen dafür, dass eine Beziehung entstanden ist. So war es mit einer Schülerin, die während einer Stunde nicht konstruktiv zum Unterricht beitrug. Ich habe ihr ruhig und bestimmt gesagt, dass jeder zum Frieden unter uns beitragen muss. Danach hat sie mir geschrieben: ‚Es tut mir leid, wie ich mich verhalten habe, es wird nicht wieder vorkommen. Ich weiß, dass Sie von uns Taten und nicht nur Worte erwarten, und ich verspreche das. Sie sind jemand, der uns vermittelt, uns nicht aufzugeben, Ziele zu erreichen, die richtigen Werte.‘“ 2)
„Wenn ihr euch vom Geist führen lasst, dann steht ihr nicht unter dem Gesetz.“
In der Liebe zu leben ist nicht einfach Ergebnis unserer Anstrengungen. Der Geist, der uns gegeben ist und den wir immer wieder erbitten können, gibt uns die Kraft, immer freier von der Sklaverei des Egoismus zu werden und in der Liebe zu leben.
Chiara Lubich* schrieb dazu: „Diese Liebe gibt uns Anstöße und lässt uns verstehen, wie wir auf bestimmte Situationen reagieren und welche Entscheidungen wir treffen sollen. Diese Liebe hilft uns zu unterscheiden: Dies ist gut, das tue ich; das ist schlecht, das tue ich nicht. Diese Liebe drängt uns, in unserem Handeln das Wohl des anderen zu suchen.
Wir werden nicht von außen geleitet, sondern von jenem Lebensprinzip, das der Heilige Geist in uns hineingelegt hat. Kräfte, Herz, Verstand, alle unsere Fähigkeiten können vom Geist geleitet sein, wenn sie auf die Liebe ausgerichtet sind und ganz im Dienst dessen stehen, was Gott mit uns und mit unserer Gesellschaft vorhat. Wir sind frei zu lieben.“ 3)
Letizia Magri
1) Galater 5,14
2) Erfahrungsbericht der Lehrerin Maria A. (Paris) bei: „Die große Sehnsucht unserer Zeit“, Veranstaltung zum 10. Todestag von Chiara Lubich, Castel Gandolfo, 3. März 2018 (www.focolare.org).
3) Chiara Lubich, Kommentar zum Wort des Lebens, Juni 2006