„Zeige mir, HERR, deine Wege, lehre mich deine Pfade!“
Der König und Prophet David, der Verfasser dieses Psalms, ist bedrückt von Angst und Armut; er sieht sich durch seine Feinde in Gefahr. Ohnmächtig sucht er einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation. In der Hoffnung auf Hilfe erhebt er seine Augen zum Gott Israels, der sein Volk seit jeher behütet hat.
Das Wort des Lebens dieses Monats unterstreicht in besonderer Weise die Bitte, die Wege und Pfade des Herrn zu erkennen, um dadurch Licht für Entscheidungen zu finden, besonders in schwierigen Momenten.
„Zeige mir, HERR, deine Wege, lehre mich deine Pfade!“
Auch wir stehen oft vor wichtigen Entscheidungen, bei denen wir auf die Stimme unseres Gewissens hören sollen. Manchmal haben wir viele Möglichkeiten zur Auswahl und wissen nicht, welche die beste ist; andere Male sehen wir überhaupt keinen Weg.
Es ist zutiefst menschlich, den eigenen Weg zu suchen, suchen zu müssen. Manchmal brauchen wir dazu die Hilfe eines Freundes. Der christliche Glaube lässt uns die Freundschaft mit Gott erleben: Er ist der Vater, der uns zutiefst kennt und uns auf unserem Weg begleiten möchte. Er lädt jeden von uns jeden Tag aufs Neue ein, sich in Freiheit auf sein Abenteuer einzulassen. Wegweisend ist dabei immer wieder die uneigennützige Liebe zu ihm und seinen Kindern.
Unterwegs auf den Wegen und Pfaden begegnen wir anderen Menschen, entdecken wir neue gemeinsame Ziele. Ein Christ ist nie isoliert, sondern Teil eines Volkes, das auf dem Weg zur Erfüllung des Planes Gottes mit der Menschheit ist. Jesus hat uns diesen Plan in seinen Worten und in seinem Leben offenbart: die universelle Geschwisterlichkeit, eine Kultur der Liebe.
„Zeige mir, HERR, deine Wege, lehre mich deine Pfade!“
Die Wege, die Gott führt, sind gewagt, kühn. Sie scheinen mitunter über unsere Kräfte zu gehen – wie Seilbrücken über tiefen Abgründen. Sie stehen im Gegensatz zu egoistischen Gewohnheiten, Vorurteilen, falscher Bescheidenheit. Seine Wege öffnen neue Horizonte des Dialogs, der Begegnung, des Einsatzes für das Gemeinwohl. Auf dem Fundament der Liebe und Treue Gottes zu uns, der immer wieder bereit ist, uns zu vergeben, können auch wir immer neu lieben. Das ist die unabdingbare Voraussetzung, damit die Beziehungen zwischen Menschen und Völkern von Gerechtigkeit und Frieden geprägt werden.
Auch das Zeugnis einer einfachen, aber echten Tat der Liebe kann anderen ein Licht für ihren Weg geben. So war es während eines Treffens in Nigeria, bei dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene miteinander die Erfahrungen teilten, die sie im Glauben an die Liebe Gottes gemacht hatten. Maya, ein Mädchen, erzählte: „Gestern haben wir miteinander gespielt und ein Junge hat mich so geschubst, dass ich hingefallen bin. Er hat sich entschuldigt und ich habe ihm vergeben.“ Diese Worte haben das Herz eines Mannes erreicht, dessen Vater von Boko Haram1) getötet worden war. Er sagte: „Ich habe Maya angeschaut. Wenn sie, die noch ein Kind ist, vergeben kann, kann ich das auch.“
„Zeige mir, HERR, deine Wege, lehre mich deine Pfade!“
Wenn wir nach dem richtigen Weg für unser Leben suchen, können wir uns daran erinnern, was Jesus von sich selbst gesagt hat: „Ich bin der Weg ...“ 2). Während des Weltjugendtages 1989 in Santiago de Compostela in Spanien richtete Chiara Lubich* diese ermutigenden Worte an die Jugendlichen:
„Wenn Jesus sich selbst als ‚den Weg‘ bezeichnet, möchte er uns sicherlich nahelegen, den Weg zu gehen, den er gegangen ist [...]. Man könnte deshalb sagen, dass der Weg, den Jesus gegangen ist, einen Namen hat: Liebe! [...] Die Liebe, die Jesus gelebt und uns gebracht hat, ist eine besondere, einzigartige Liebe. [...] Es ist die gleiche Liebe, die in Gott brennt. [...] Wen sollen wir lieben? Die Liebe zu Gott ist unsere erste Aufgabe. Doch eng damit verbunden ist die Liebe zum Nächsten, zu jedem Nächsten. [...] Vom Aufstehen am Morgen bis zum Schlafengehen am Abend soll jede Beziehung zu den anderen von dieser Liebe geprägt sein: zu Hause, an der Uni, am Arbeitsplatz, beim Sport, in den Ferien, hier in Santiago de Compostela, in der Kirche, unterwegs ... Überall sollten wir die Gelegenheiten wahrnehmen, um zu lieben. Was wäre das für eine Revolution! Aber wir bemühen uns ja darum! Also: alle Gelegenheiten nutzen, um zu lieben, in allen Jesus erkennen, niemanden vernachlässigen, als Erste lieben! [...] Das bedeutet, sich so weit wie möglich in den anderen hineinzuversetzen, seine Probleme, Bedürfnisse, Nöte und Freuden zu verstehen versuchen, um alles mit ihm teilen zu können. [...] Gewissermaßen ‚der andere werden‘. Das ist ein Wort. ‚Der andere werden‘ wie Jesus, der Gott war, aus Liebe Mensch geworden ist. Er ist das Vorbild für uns. Wenn wir so handeln, fühlt sich der andere verstanden und erleichtert, weil jemand seine Last mit ihm trägt, an seinen Nöten, Schwierigkeiten und Freuden teilnimmt.
‚Im anderen leben‘, ‚in den anderen leben‘: Das ist ein großes Ideal!“
Letizia Magri